Ob das Duderstädter Heimatmuseum trotz bewilligter Fördergelder und einer großzügigen Erbschaft weiterhin Bestand haben wird, entscheidet der Duderstädter Stadtrat in seiner Sitzung am 2. März 2021. Über die offenen Fragen in der Beschlussvorlage vom 9. Februar haben wir ausführlich berichtet. Zu einer öffentlichen Versammlung rief die Initiative der ehrenamtlichen Museumsbetreuer*innen auf, wozu sowohl Duderstädter Bürger*innen als auch Mitglieder des Stadtrates gekommen waren. Außerdem haben wir bei Clanys Eichsfeld-Blog ein Statement von Gerold Wucherpfennig als Vorsitzenden des Heimat- und Verkehrsvereins Eichsfeld (HVE) sowie eine persönliche Stellungnahme von Olaf Martin, Geschäftsführer des Landschaftsverbands Südniedersachsen.
Fragen wurden in der Versammlung vor dem Heimatmuseum von den Teilnehmern (selbstverständlich mit Mindestabständen und Masken) gestellt: Wo sollten die etwa 8000 Ausstellungsstücke des Heimatmuseums untergebracht werden? Wie sollen junge Leute die Geschichte der Stadt Duderstadt noch erfahren, wenn das Museum nicht weiter erhalten bleibt? Wurde das Problem des schlechten Zustands des Heimatmuseums seit Jahren auf die lange Bank geschoben?
Meinungen wurden geäußert: Rückblicke in die Nischen der regionalen Geschichte würden nicht in Büchern gelehrt. Man könne nicht die eigene regionale Identität verleugnen.
Kritik wurde angebracht: Seit Jahren sei ein einzigartiges modernes Konzept zum Mitmachen erarbeitet worden, das nun geopfert werden solle. Weitere Förderspielräume seien noch nicht eruiert worden.
Haben denn Heimatmuseen bei heutigen Tourismus-Trends, als außerschulischer Bildungsstandort oder als „Gedächtnis“ der Stadt/Stadtgeschichte noch Bedeutung? Was macht ein modernes Museum aus? Wo liegen die Chancen?
Gerold Wucherpfennig, Vorsitzender des Heimat- und Verkehrsverbands Eichsfeld:
„Museen haben nach wie vor eine große Bedeutung für den Tourismus. Aber nicht nur für Urlauber und Gäste, sondern auch für die heimische Bevölkerung. So leisten insbesondere Heimatmuseen einen wichtigen Beitrag zur lokalen und regionalen Identität sowie zur Bildung eines Heimatgefühls bzw. -bewusstseins. Gerade regionale Identität und Heimatbewusstsein sind Eigenschaften, die im Eichsfeld erfahrungsgemäß besonders stark ausgeprägt sind.
Zudem zählen Museen zu den klassischen Ausstattungsmerkmalen von Oberzentren, aber auch von Mittelzentren wie Duderstadt. Nach den Zielen von Raumordnung und Landesplanung sollen sie möglichst in allen Teilräumen eines Landes vorhanden sein, um Chancengleichheit zu gewährleisten.
Touristen werden auf Sehenswürdigkeiten einer Region aufmerksam u. a. durch Sichtung auf digitalen Plattformen bzw. von analogen Reiseführern, Gastgeberverzeichnissen von Tourismusverbänden, Reiseberichten in den Medien oder auch Anfragen bei Reisebüros und Touristinformationen.
Eine Betrachtung ausschließlich nach reinen finanziellen Aspekten bei der Entscheidung über die Existenz von kulturellen Einrichtungen wäre meines Erachtens zu einseitig. Vielmehr muss bei der derartigen Angelegenheiten die Förderung unserer Gesellschaft und deren Nachwelt durch Bildung, Wissenschaft und Kultur im Vordergrund stehen.“
Wie hoch ist heutzutage noch die Bedeutung von kulturgeschichtlichen Museen der Klein- und Mittelstädte?
Persönliche Einschätzung von Olaf Martin, Geschäftsführer des Landschaftsverbands Südniedersachsen:
„Um es zunächst einmal kurz zu sagen: Für die Fachwerkstädte in Südniedersachsen, deren Geschichte bis ins Hochmittelalter zurückreicht, sollte ein Museum eigentlich eine Frage der Ehre sein. Der Stolz auf die eigene Stadt, das Bewusstsein, an einem besonderen, unverwechselbaren Ort zu leben – dieses Heimatgefühl ist gebunden an Ereignisse, Gebäude, Objekte, Dokumente. Und diese Dinge müssen nicht nur aufgezeichnet und bewahrt, sondern auch vermittelt und im Bewusstsein gehalten werden. Ein stadtgeschichtliches Museum ist ja nicht nur ein Gedächtnisort, sondern der Spiegel und geradezu die Verkörperung bürgerlichen Selbstbewusstseins. Ein Museum ist nichts, was man halt irgendwie machen muss. Ein Museum hat nur Sinn, weil und wenn es gewollt ist. Sehr folgerichtig gehört der Betrieb eines städtischen Museums daher auch nicht zu den gesetzlichen Pflichtaufgaben einer Kommune, sondern zu jenen Vorhaben, die eine Stadt von sich aus will, die also freiwillig im besten Sinne sind.
Es reicht auch nicht, für eine Ansammlung interessanter oder stadtgeschichtlich wichtiger Objekte einen Aufbewahrungsort zu haben. Diese Dinge sprechen nicht von alleine, sie müssen zum Sprechen gebracht und ihre alte Sprache übersetzt werden, das Wichtige vom weniger Wichtigen getrennt, das für heute Bedeutsame herausgestellt werden. Das geht nur in einem lebendigen, fachkundig betreuten Museum.
Und schließlich: In einem Museum kommt nicht nur zum Ausdruck, dass sich eine Stadt ihrem kulturellen Erbe gegenüber verpflichtet fühlt und dass sie dies an die gegenwärtige Generation vermitteln will. Ein Museum bringt auch den Willen zum Ausdruck, Kultur an die Zukunft weiterzugeben. Diese Kette der Weitergabe darf nicht abreißen. Die Erfahrung zeigt, dass der Erhalt von wertvollen Objekten und Dokumenten nur gewährleistet ist, wenn sie von einer verlässlichen Institution betreut werden. Wird ein Museum geschlossen, ist die Sammlung zunächst noch da, aber nicht mehr zugänglich. Und früher oder später löst sie sich auf, sind die Objekte in schlechtem Zustand und bald nicht mehr auffindbar. Das ist keine Befürchtung, das ist nahezu ein Naturgesetz und vielfach empirisch belegt.
Kein Museum der Welt, das diesen Namen mit Recht führt, kann sich allein aus Eintrittsgeldern finanzieren. Museen generieren auch noch anderen Nutzen als Geldeinnahmen. Museen sind ein Angebot und nicht Reaktion auf irgendeine Nachfrage!
Natürlich sollte ein Museum daran interessiert sein, möglichst viele Besucher anzusprechen. Aber nicht um der Kostendeckung willen, sondern um seinem Auftrag nachzukommen. Und dann ist auch nicht so sehr die nackte Zahl der Besucher wichtig, sondern eher, wer das ist. Ein Stadtmuseum ist für die Bürger dieser Stadt da, vor allem von diesen muss es angenommen werden. Touristen sind immer willkommen, aber das ist bei diesem Museumstyp nicht die einzige Zielgruppe. Ein Stadtmuseum sollte nicht nur Besuchermagnet, sondern auch Bürgermagnet sein!
Dass viele Museen diesen Anspruch nicht erfüllen, ist unstrittig. Bei näherem Hinsehen liegt das dort aber meist nicht am fehlenden Können oder Einsatz der unmittelbar Verantwortlichen, sondern am fehlenden politischen Willen, dem Museum diese Rolle zu ermöglichen. Ein gutes Museum kostet mehr Geld als ein schlechtes, ist aber für das öffentliche Leben einer Stadt auch viel bereichernder. Bloß in Geld messen kann man diesen Reichtum nicht.“
Modernes Konzept ErlebnisWerkstatt Heimatmuseum Duderstadt:
Vor gut einem Jahr, am 12. Februar 2020, hat der Duderstädter Kulturausschuss die Vorstellung der Pilotidee „ErlebnisWerkstatt“, ausgearbeitet von der Duderstädter Museumspädagogin Sandra Kästner und Astrid Vettel vom Landschaftsverband Südniedersachsen, zustimmend zur Kenntnis genommen.
Das Ziel sei, von einer Präsentationsausstellung hin zu einer Erlebniswelt zu kommen. Die drei Themenbereiche Hausbau, Handwerkskunst und Stadtgeschichte sollen dabei im Vordergrund stehen. Mit über 8.000 Exponaten verfüge das Heimatmuseum bereits über einen großartigen Bestand. Im Projekt “ErlebnisWerkstatt” solle das Museum künftig eine zeitgemäße und interaktive Berufsorientierung und Vermittlung von Handwerkskunst ermöglichen. Die Besucher könnten zu Akteuren werden, das Handwerk erfahren und ihr Wissen an Aktivstationen und in Workshops vertiefen. Bei einer Kooperation mit dem Zentralverband des Deutschen Handwerks und der Handwerkskammer sowie die Einbindung von Handwerksbetrieben und der Berufsbildenden Schule könnten beispielsweise Handwerkslehrlinge zu Lehrenden werden und ihr Wissen an die Besucher weitergeben.
Außerdem flossen weitere Vorschläge mit ein, auch den Museumsgarten wieder im Konzept mit einzubeziehen, eine enge Verbindung zu den Schulen und Pädagogen zu pflegen und Kombitickets für die Stationen Heimatmuseum-Rathaus-Westerturmensemble anzubieten.
Die Werkstatt Mosler hat Karten gestaltet, auf denen Bürger*innen ein Statement zum Duderstädter Heimatmuseum aufschreiben und im Stadthaus abgeben können. Wer sich noch mit einem schriftlichen Statement beteiligen möchte, kann die Karten von den Ortsheimapflegern, vom Förderverein Denkmalschutz oder vom Heimatverein Goldene Mark erhalten. Am Sonnabend, 27. Februar, sollen sie außerdem auf dem Duderstädter Wochenmarkt verteilt werden. Am Dienstag, 2. März 2021, entscheidet der Stadtrat über das Heimatmuseum. Die Sitzung findet um 17 Uhr im Ballhaus Zum fidelen Anreischke statt.
Weiterführende Links zu Beispielen eines gelungenen digitalen Auftritts von Heimatmuseen in der Region:
Stadtmuseum Einbeck
Facebookseite des Stadtmuseums Einbeck
Facebookseite des Eichsfeldmuseums Heilbad Heiligenstadt
ClanysEichsfeldBlog Duderstadt Heimatmuseum ErlebnisWelt