Von großer Liebe und erweiterten Horizonten – 31. Tag der Deutschen Einheit am Grenzlandmuseum Eichsfeld

Mehr als 30 Paare haben sich nach dem Aufruf im Grenzlandmuseum Eichsfeld gemeldet, um ihre persönliche Liebesgeschichte zu erzählen, die es ohne die Grenzöffnung nie gegeben hätte. Daraus ist eine Ausstellung entstanden, die am Tag der Deutschen Einheit 2021 unter dem Motto „30 Jahre – 30 Lieben“ eröffnet wurde.

 

Paare und Gäste bei der Ausstellungseröffnung in der Bildungsstätte des Grenzlandmuseums

 

Die Idee stammte von Wolfgang Nolte, zweiter Vorsitzender des Trägervereins des Grenzlandmuseums. „Statt nur über Kosten und Ungleichheiten nach der Wiedervereingung zu sprechen, wird es Zeit, auch mal zu sehen, wo das Zusammenwachsen längst funktioniert hat“, erklärte Wolfgang Nolte bei der Eröffnung der Ausstellung. Im vergangenen Jahr startete das Grenzlandmuseum einen Aufruf, um im 30. Jahr der Wiedervereinigung 30 Liebespaare zu finden, die gern ihre Geschichte erzählen würden. Dieses Ziel wurde auch erreicht, allerdings wollten nicht alle Paare öffentlich in Erscheinung treten. Schließlich waren es 17 Paare, die ihre Geschichte für die Ausstellung zur Verfügung stellten. Außerdem berichteten die Duderstädter Standesbeamtin Sabine Holste-Hoffmann und der Heiligenstädter Pfarrer Franz-Josef Wiederhold von den ersten Ost-West-Trauungen nach der Grenzöffnung.

Wegen der Pandemie musste die Premiere der Ausstellung immer wieder verschoben werden. Endlich konnte dann der 31. Jahrestag der Deutschen Wiedervereinigung, der 3. Oktober 2021, als Eröffnungstag gewählt werden. Wolfgang Nolte, Geschäftsführerin Mira Keune und der erste Vorsitzende des Trägervereins Horst Dornieden begrüßten die Gäste und die Paare, die dazu angereist waren.

 

Ideengeber der Ausstellung „30 Jahre – 30 Lieben“ Wolfgang Nolte, Mira Keune und Horst Dornieden (v.r.).

 

Insgesamt 17 Roll-ups zeigen Fotos der teilnehmenden Paare, zum Teil ältere Bilder aus der Zeit des Kennenlernens, dann auch aktuelle Bilder, manchmal mit Kindern, die aus der Ost-West-Beziehung entstanden sind. Auf einem weiteren Roll-up kommen die Standesbeamtin und der Pfarrer zur Wort, und ein allgemeiner Einleitungstext informiert über Hintergründe und Entstehung der Ausstellung. Die persönlichen Geschichten sind in Interviews mit den Paaren entstanden – in Coronazeiten auf digitalem Weg oder am Telefon. Außerdem gibt es zu jeder Geschichte kurze Info-Boxen mit historischen Hintergründen, zusammengestellt von den beiden Historikern Mira Keune und Patrick Hoffmann. Ein historisches Bild aus dem Archiv des Grenzlandmuseums bildet den Eyecatcher jeweils am Fuß des Roll-ups.

Diese persönlichen, emotionalen und oft auch lustigen Liebesgeschichten zeichnen zugleich ein sehr lebendiges Bild der deutschen Geschichte, die so viele Facetten hat wie die Menschen, die sie erzählen. Unterschiede aufgrund der Herkunft gab und gibt es: Sagt man Schmalzbrot oder Bemme? Datsche oder Gartenlaube? Jeans oder Nietenhose? Wie wurden die Partner aus dem jeweils anderen Teil Deutschlands oder gar aus dem Ausland wahrgenommen? Da wurde die neue Freundin als „Westschnecke“ bezeichnet, oder der „Ossi“ wurde am westdeutschen Arbeitsplatz gemobbt.
Gemeinsamkeiten gibt und gab es ebenso: Die Liebe zum Karneval, zum Sport, zum Reisen, zur Eichsfelder Tradition oder berufliche Wege verbinden die Menschen, sodass die Frage, woher jemand komme, irgendwann irrelevant ist. Auffällig ist auch, dass umso weniger Unterschiede wegen der Herkunft wahrgenommen werden, desto jünger die Paare sind. Allerdings gab es auch weniger Vorurteile, wenn schon in Zeiten der deutschen Teilung familiäre oder freundschaftliche Kontakte in den jeweils anderen Teil Deutschlands bestanden.

 

Juliane und Marc – je jünger die Paare, desto weniger werden Unterschiede zwischen Ost- und West-Herkunft wahrgenommen

 

Neben ihrer persönlichen Geschichte durften alle Paare eine „Einheitsbotschaft“, zum Beispiel einen Wunsch für die Zukunft oder einen Rückschluss aus dem Erlebten, formulieren. Alle Paare zeigten sich äußerst glücklich über die Wiedervereinigung, viele feiern den 3. Oktober alljährlich mit besonderen Familientreffen oder hätten ihn sogar als Hochzeitstag gewählt, wenn die Standesämter nicht wegen des Feiertags geschlossen wären.

Die Ausstellung „30 Jahre – 30 Lieben“, die in der Bildungsstätte eröffnet wurde, zieht jetzt nochmal ein Gebäude weiter und ist ab Dienstag, 5. Oktober 2021, als Sonderausstellung im Grenzlandmuseum Eichsfeld zu sehen. Anschließend soll sie als Wanderausstellung auch anderen Einrichtungen zur Verfügung stehen. Erste Interessenten hätten sich schon gemeldet, berichtet Mira Keune, Leiterin des Grenzlandmuseums. Zudem soll die Aktion „30 Jahre – 30 Lieben“ weitergehen. Paare können sich nach wie vor beim Grenzlandmuseum melden, um ihre Ost-West-Geschichte zu erzählen.

 

Ältere Paare wie Birgitt und Wilfried haben die deutsche Teilung und Wiedervereinigung noch selbst erlebt

 

Und auch weitere spannende Angebote lockten zahlreiche Menschen zum Tag der Deutschen Einheit an den ehemaligen Grenzübergang Duderstadt-Worbis, wo sich heute das Grenzlandmuseum befindet. Nach dem Auftakt am Samstag, 2. Oktober, mit dem Dokumentarfilm „Bei Nacht und Nebel“ über die Massenflcht aus Böseckendorf wurde am Sonntagmorgen eine Gedenkwanderung von Böseckendorf nach Immingerode angeboten, die der Route entsprach, die 1961 von den Familien gewählt wurde, kurz bevor die Grenzabsperrungen verschärft wurden.

 

Unter den Gästen zur Eröffnung des Theater-Video-Walks befinden sich auch Lehrer und Lehrerinnen des EGD

 

Am Außengelände des Grenzlandmuseum wurde außerdem der Theater-Video-Walk „Hinterm Horizont – Grenzen im Kopf“ eröffnet, der in einem Gemeinschaftsprojekt (Start 2020 vor der Pandemie) des Grenzlandmuseums, des Jungen Theaters Göttingen (JT) und des Eichsfeld-Gymnasiums Duderstadt (EGD) entstanden ist. Dazu erklärte Christian Vilmar, leitender Dramaturg am JT, wie während der Corona-Pandemie der gesamte Konzeptplan angepasst werden musste: Nach einer ausführlichen Recherchearbeit zur deutschen Teilung – maßgeblich betreut durch den Historiker und pädagogischen Mitarbeiter am Grenzlandmuseum Patrick Hoffmann – sollte ursprünglich eine Live Performance zu verschiedenen Stationen am Grenzlandmuseum aufgeführt werden. Da das alles wegen Corona nicht möglich war, wurde beschlossen, zu den Stationen Videos zu drehen, die bestimmte historische Aspekte in einen Bezug zu heutigen gesellschaftlichen Themen setzten. Das sei zwar anders als eine Live-Vorstellung, aber dafür sei das Ergebnis des Workshops nachhaltiger, weil es nun dauerhaft am Grenzlandmuseum über QR-Codes an den einzelnen Stationen abzufragen sei, sagte Christian Vilmar.

 

Patrick Hoffmann, Christian Vilmar und Horst Dornieden bei der Eröffnung des Theater-Video-Walks (v.l.)

 

Öffentliche Führungen zum Mühlenturm und auf dem Grenzlandweg sowie die Dauerausstellung im Museum rundeten das Programm zum 31. Tag der Deutschen Einheit ab.

 

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