Die Organisation der Ausstellung „175 Jahre Sparkasse Duderstadt“ erforderte für die Vorstandsassistentin Maren Gebauer einige Monate Arbeit. In diesem Rahmen entdeckte sie ein altes Foto aus den 1930-er Jahren, ohne zu ahnen, dass dieses Bild sie schließlich ein Stück weit in die eigene Familiengeschichte führen würde.
Das Bild zeigt die Duderstädter Bahnhofstraße, gesäumt von jungen Bäumchen und üppig bepflanzten Gärten vor den Villen. Die Aufnahme muss vor 1936 entstanden sein, da das Sparkassengebäude (Bj. 1935/36) dort noch nicht zu sehen ist.
Es scheint ein sonniger Tag zu sein, die Markise über einem kleinen Atelier spendet Schatten. Ein paar Menschen stehen auf dem Bürgersteig und unterhalten sich. Eine hochgewachsene junge Frau mit Hut und hellem Kleid kommt der Kamera entgegen. Sie scheint etwas auf beiden Armen zu tragen, vielleicht Einkäufe. Woher sie kommt und wohin sie unterwegs ist, verrät das alte Foto nicht.
Zur aktuellen Jubiläums-Ausstellung in der Sparkasse hat Maren Gebauer viele alte Fotos gesichtet, die aus diversen Sammlungen, Archiven und Museen der Region zusammengetragen wurden. Da ihre Mutter Annegret Diederich ebenfalls gebürtige Duderstädterin ist, zeigte sie ihr ein paar der Bilder, unter anderem das mit der hochgewachsenen jungen Frau. Die Überraschung war groß: „Meine Mutter meinte sofort, ihre Tante Irma zu erkennen“, sagt Maren Gebauer. Um ganz sicher zu sein, wurde der Cousin gefragt, und auch er erkannte sofort seine Mutter Irma. Und so wurde die Geschichte der Frau auf dem Bild plötzlich lebendig:
Irma wurde 1915 als drittes von insgesamt vier Kindern des Sattlers Carl Eckhardt und seiner Frau Elisabeth geboren. Ihre Eltern hatten ihr Haus und die Werkstatt 1911 bei dem Großbrand im Duderstädter Sackviertel/ Untere Marktstraße verloren. Vorübergehend wurde die Familie in der Hinterstraße, nahe der Börsengasse, untergebracht.
Versichert waren die Eckhardts nicht, also mussten sie hart arbeiten, um Haus und Geschäft am alten Standort neu aufzubauen. Doch Irmas Eltern waren jung und optimistisch. Außerdem war die Lage der Sattlerei genau zwischen dem Pferdemarkt an der Unterkirche und der Schmiede in der Sackstraße ideal. Hier ließen sich Geschirre und Lederwaren bestens verkaufen.
Allerdings verdrängte ab den 1920-er Jahren das Automobil zunehmend die Pferdefuhrwerke. Der letzte Pferdemarkt an der Unterkirche fand am 11. April 1929 statt, wurde dann noch eine Zeit lang vor das Schützenhaus auf die Talwiese verlegt und verlor schließlich an Bedeutung. Doch in der Landwirtschaft wurden Pferde noch gebraucht, und Carl wäre gern direkt auf die Höfe gefahren, um seine Kunden zu bedienen oder ein Geschirr anzupassen.
Das Glück stand auf seiner Seite. Er gewann in einer Lotterie etwas Geld und konnte ein Automobil kaufen – zu der Zeit etwas ganz Besonders. Seine Kinder haben sich darüber auch sehr gefreut. Die Familie unternahm kleine Spritztouren in die Umgebung, und Carl konnte zu seinen Kunden auf die Höfe fahren. Außerdem hat er das Geschäft, das schon sein Vater geführt hatte, stetig erweitert. In der Sattlerei stellte er nicht nur Lederarbeiten jeder Art her, er polsterte auch die Sitze von Kutschen und Möbel, und er bespannte Markisen. Elisabeth verkaufte die Waren im Geschäft: Koffer, Gürtel, Peitschen, Zaumzeug, Ranzen und mehr.
Irma hat in der Mädchenschule im Ursulinenkloster das Kochen gelernt und später auch zwei Jahre in einem Haushalt in Leipzig und schließlich in Duderstadt im Landbundhaus neben den Rathaus gearbeitet. 1947 heiratete sie einen Duderstädter Lehrer. Ihr Vater Carl erlitt 1949 auf der Weihnachtsfeier der Sattler in der Gaststätte Zur Post in der Jüdenstraße einen Hirnschlag. Seinen Leichnam brachte man zu Elisabeth. Sie lebte noch bis 1975.
Irma wohnte mit ihrem Ehemann und den beiden Söhnen weiter im elterlichen Haus, bis es 1989 verkauft wurde. Das Paar zog in die Sackstraße, und nach dem Tod ihres Ehemanns nahm Irma eine Wohnung im Altenheim Am Park. Nach kurzer Krankheit starb sie 2004.
Diese Familiengeschichte, die auch ein Stück Duderstädter Zeitgeschichte spiegelt, hat Maren Gebauer nur dank der Vorbereitungen zur Ausstellung entdeckt, nachdem zufällig die hochgewachsene Frau auf dem alten Foto erkannt wurde.
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