Blaumohn – soweit das Auge reicht. Wir sprechen nicht von Kolumbien, sondern von Immingerode. Das 500-Seelen-Örtchen bei Duderstadt entwickelt sich im Juni 2021 zum „Tourismusmagneten“ – alle wollen die violette Blütenpracht in den Mohnfeldern fotografieren. Dahinter steckt aber ein Projekt der Klima- und Naturschutzgesellschaft Eichsfelder Land mbH.
Auf den Feldwegen bei Immingerode geht es zu wie bei einem Festival. Schlangen von parkenden Autos verstopfen die Feldwege, sodass ein Landwirt mit Trecker kaum noch durch kommt. Die Leute packen ihre Picknickkörbe und die Spiegelreflexkamera aus, stellen das Stativ auf oder machen Selfies mit dem Handy vor den lila Blüten. Eine Gruppe Reiter mit Ponys und eine ganze Wagenladung Dalmatiner wollen ebenfalls den spektakulären Hintergrund für Instagram und Co. „Solange die Leute den Trecker vorbeilassen und im Feld in einer Fahrspur bleiben, geht es ja noch. Die Pflanzen sollten vor der Ernte nicht zertreten werden. In etwa einer Woche wird der Hype ohnehin vorbei sein, wenn der Mohn verblüht ist“, sagt der Immingeröder Landwirt Niklas Klingebiel, „aber mit diesem Andrang haben wir überhaupt nicht gerechnet.“
2019 hat der 25-Jährige zusammen mit seinem Bruder Lennart und mit dem Landwirt Valentin Sommer die Klima- und Naturschutzgesellschaft Eichsfelder Land mbH gegründet. Nach dem Motto „think global, act local“ soll in verschiedenen Projekten Landwirtschaft mit Bezug auf Klimaschutz und Nachhaltigkeit gefördert werden. Die Eichsfelder Klimaschutzgesellschaft bewirtschaftet Acker- und Grünlandflächen bei Heiligenstadt und Duderstadt, wo spezielle Saatmischungen auf Blühstreifen und zukünftig auch Aufforstungsmaßnahmen zum Klimaschutz beitragen sollen. Außerdem werden Einzelpersonen und Unternehmen zum Mitmachen eingeladen. „Es gibt zwar Förderungen für Blühstreifen, aber da gelten nur bestimmte Saatmischungen, die dann wieder nicht auf alle Standorte passen. Daher haben wir unsere eigenen Schwerpunkte auf ein größtmögliches CO2 Umweltpotenzial sowie auf langblühende Pflanzen aus acht verschiedenen Arten gelegt“, erklärt der Immingeröder.
Auch die Mohnfelder gehören zu den Projekten der Naturschutzgesellschaft. Darauf weist ein großes Schild an der K120 zwischen Immingerode und Nesselröden hin. Über den QR-Code gibt es mehr Infos direkt auf der Webseite. Geplant ist, den Blaumohn dann als regionales Produkt an Bäckereien zu verkaufen oder auch in Klingebiels Hofladen in Immingerode anzubieten.
Blaumohn (Schlafmohn) wird u.a. zur Herstellung von Opiaten verwendet. Für den Anbau ist die Genehmigung der Bundesopiumstelle erforderlich, erklärt Niklas Klingebiel. Allerdings soll in Immingerode nicht etwa der Mohnsaft zur Herstellung von Medikamenten oder Drogen verwendet werden, sondern es werden die ungefährlichen Mohnsamen geerntet, die kein Morphin bilden und sehr lecker auf dem Kuchen sind. „Die Ernte geht relativ einfach mit dem Mähdrescher, aber dann muss der Mohn sehr schnell verarbeitet werden“, sagt der Immingeröder. Da es in Deutschland kaum die Technik für das aufwändige Reinungsverfahren gibt, wird der frische Mohn nach Tschechien transportiert, wo Firma Klingebiel auch einen landwirtschaftlichen Betrieb übernommen hat.
Der Schlafmohn gilt als eine der ältesten Kultur- und Heilpflanzen der Menschheit und wurde schon vor rund 6000 Jahren in Europa angebaut. In alten Bauerngärten war Blaumohn oft zu finden und wird auch von Bienen, Hummeln und Co. gern aufgesucht.
Mit der Klima- und Naturschutzgesellschaft Eichfelder Land mbH sollen zukünftig weitere Klimaprojekte gestartet werden. „Wir haben in Thüringen ca. 10 ha Land, das zum Teil direkt an den Naturpark Eichsfeld-Hainich-Werratal angrenzt. Dort haben wir schon Blühwiesen angelegt, wollen uns aber auch bei schwer zugänglichen Flächen um weitere Aufforstung bemühen. Das ist allerdings kompliziert in Deutschland, ungefähr 12 Ämter müssen das bewilligen“, sagt Niklas Klingebiel.
Im kommenden Jahr soll auch wieder der Mohn im Eichsfeld blühen. „Da wir jetzt wissen, welchen Besucherstrom der auslöst, kann man das im nächsten Jahr vielleicht mit einem Hoffest feiern“, hofft der Landwirt auch auf eine entspanntere Corona-Lage.