Vor 75 Jahren, am 27. Januar 1945, wurden die Gefangenen im Vernichtungslager Auschwitz durch Soldaten der Roten Armee befreit. 1996 hat der damalige Bundespräsident Roman Herzog den 27. Januar als Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus proklamiert. Das KZ Auschwitz wurde zum Symbol für den durch das Nazi-Regime verübten Völkermord, der Tag der Befreiung zum nationalen Gedenktag. Auch in Duderstadt traf sich eine Delegation von Bürgern und Politikern zur Kranzniederlegung am Jüdischen Friedhof.
Während der Gedenkstunde in der Kapelle des Krankenhauses St. Martini zitierte Bürgermeister Thorsten Feike den Bundespräsidenten a.D. Roman Herzog: Die Erinnerung dürfe nicht enden, sondern auch künftige Generationen müssten zur Wachsamkeit ermahnt werden. Und er gedachte derer, die Widerstand leisteten und trotz der Gefährdung des eigenen Lebens den Verfolgten beistanden. „Geschichte kann man nur begreifen, wenn man sich intensiv damit auseinandersetzt“, sagte Thorsten Feike.
Mit der NS-Zeit haben sich auch die Schülerinnen und Schüler des 10. und 11. Jahrgangs des Eichsfeld-Gymnasiums auseinandergesetzt. In Wortbeiträgen erinnerten sie an Albert Battel und Otto Weidt, die beide mit dem Ehrentitel „Gerechter unter den Völkern“ ausgezeichnet wurden. Den verleiht der Staat Israel nichtjüdischen Personen, die in der NS-Zeit Juden vor der Ermordung gerettet haben.
Der Jurist Albert Battel war seit 1933 Mitglied der NSDAP, rettete aber zwischen 1933 und 1942 hunderte Juden, unter anderem im Warschauer Ghetto. Der Besen- und Bürstenbinder Otto Weidt trieb in den 1940-er Jahren Handel mit der Wehrmacht, beschützte und rettete aber seine größtenteils jüdischen Mitarbeiter. Beide Lebensläufe zeigen, dass keine Biografie nur heldenhafte und makellose Aspekte beinhaltet. Albert Battel und Otto Weidt ließen sich jedoch von ihrem Gewissen und von Empathie leiten, als es darauf ankam. Sie gingen bei ihrem eigenverantwortlichen Handeln das Risiko ein, selbst zum Tod verurteilt zu werden, und bewiesen damit Größe und Menschlichkeit.
Da es in Deutschland die Schulpflicht gibt und Geschichtsunterricht im Lehrplan steht, könnte man davon ausgehen, dass jede/r die Chance hatte, etwas aus der Vergangenheit zu lernen. Die zeigt nämlich, dass Abgrenzung und Ausgrenzung anderer vor allem dahin führt, selbst ab- und ausgegrenzt zu werden, und zwar aus der Akzeptanz, aus dem Vertrauen und aus der (Staaten- und Völker-)Gemeinschaft. Wer in Geschichte nicht aufgepasst hat, hat dann vielleicht etwas bei den Naturwissenschaften mitbekommen. Die beweisen nämlich ebenfalls, dass Stärke, Bestand und Entwicklung niemals in der Gleichschaltung und Monokultur liegen, sondern nur in Vielfalt und Diversität.
Warum werden Nazi-Symbole und Hass-Parolen wieder „salonfähig“?
Wenn man sich heute die gesellschaftlichen und politischen Tendenzen ansieht, bemerkt man einen gewaltigen Ruck in die braun-blaue Ecke. Nicht nur in Deutschland, und nicht nur in Europa. Sind also die Erinnerungen an die NS-Zeit und deren weltweite Folgen in unserer Gesellschaft schon so verblasst, dass Hass-Rhetorik und Nazi-Symbole wieder „salonfähig“ werden konnten?
Die Zeitzeugen werden weniger. Es muss also unser aller Aufgabe sein, die Erinnerungen zu bewahren, um die Zusammenhänge der Geschichte und die Werte der Demokratie an die nachfolgenden Generationen weiterzugeben. Deswegen bleiben die Gedenktage auch in Zukunft ein wichtiges Kulturgut.
Noch vor dem Gedenken sollte es heißen: „Wehret den Anfängen!“ Doch wo fängt man an? Ein Kindergartenkind kann die historischen Fakten und Hintergründe noch nicht erfassen. Aber es kann Empathie lernen als Basis der Menschlichkeit. Und es kann lernen, dass Mut sich mehr lohnt als Mitläuferschaft.
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