Im Jahr 1700 gründete eine kleine Abordnung von Erfurter Ursulinen in der Neutorstraße in Duderstadt ein Kloster mit dem Ziel, den Mädchen in der Region religiöse und schulische Bildung zu ermöglichen. Generationen von Eichsfelderinnen besuchten seitdem die Klosterschule, bis diese nach den Schulreformen und dem Bau des Schulzentrums Auf der Klappe 1973 ihre Pforten schloss. Doch wie war eigentlich der Schulalltag bei den Nonnen? Ehemalige Klosterschülerinnen erinnern sich an eine Zeit, in der es für Mädchen keineswegs selbstverständlich war, die Mittlere Reife und das Abitur erreichen zu können.
„Sigrid ist leider sehr bequem, das zeigt sich beim Aufstehen und in ihrer ganzen inneren und äußeren Haltung. Sie gibt leicht Widerworte, wenn ihr etwas nicht passt…“ – Nicht sehr rühmlich beginnt das Zeugnis von Sigrid Fortner, die in der Nachkriegszeit Schülerin im Mädchenpensionat der Duderstädter Ursulinen war. Dennoch muss sie etwas in der Klosterschule nachhaltig beeindruckt haben, denn sie wurde Nonne.
„Manchmal war es ein bisschen wie die Feuerzangenbowle“, sagt Sr. Sigrid Fortner mit schelmischen Lächeln, wenn sie ihre eigene Schulzeit in Duderstadt mit dem Pennäler-Kultfilm vergleicht. Es gab strenge Regeln, aber auch Scherze und Schabernack. Und vor allem gab es eine innige Gemeinschaft.
Das bestätigt Renate Ewers, die 1958 die Ursulinenschule mit dem Abitur in der Tasche verließ. Zuvor habe es öfters Standpauken von Sr. Carola gegeben, denn in puncto Fleiß trat die junge Renate offensichtlich nicht in die Fußstapfen ihrer Mutter, die den Schwestern als beispielhafte Schülerin in Erinnerung geblieben war.
„Wenn wir im Unterricht über schlechte Luft klagten, durften wir die blickdichten Ornamentfenster öffnen. Es dauerte eine Weile, bis die Schwestern merkten, dass nicht die Luft, sondern die Jungen, die am Kloster entlang zum Sportunterricht gingen, der Grund für das offene Fenster waren“, erzählt Renate Evers, und die anderen stimmen lachend zu.
Maria Schwedhelm hatte ebenfalls schon frühe familiäre Verbindungen zu den Ursulinen. Ihre Großtante Luzie leitete die klösterliche Backstube, wo auch die Hostien handgefertigt wurden. Die krümeligen Reste, „Hostienschnitzel“, durften die Kinder naschen. Die fromme Luzie habe vermutlich auch einen Anteil an bestandenen Matheklausuren ihrer Großnichte gehabt, denn während der Prüfungen stand sie im Chor und betete inbrünstig für das Kind.
Beeindruckt war Maria Schwedhelm als Schülerin vom Naturkundeunterricht mit kleinen Exkursionen, wo unter anderem Pflanzen- und Vogelbestimmungen dazu führten, die Vielfalt der Natur kennenzulernen und sie zu achten. Nach dem Abitur im Jahr 1957 wurde Maria Schwedhelm selbst Lehrerin bei den Ursulinen, besuchte später aber noch die Handelsschule für einen kaufmännischen Beruf.
Renate Hage kam 1950 in die Oberschule der Ursulinen. Nach ihrer Mittleren Reife und ihrer Ausbildung zur Bürokauffrau arbeitete sie zunächst bei BMW in Göttingen. Damals war Göttingen noch Filmstadt und sie traf auf berühmte Schauspieler wie Dieter Borsche und Ruth Leuwerik, die sich für einen BMW interessierten. Später arbeitete die dreifache Mutter im Familienunternehmen ihres inzwischen verstorbenen Mannes in Duderstadt. Ihre Söhne führen das Unternehmen weiter. „Ich bin noch jede Woche ein bis zwei Tage im Büro“, sagt sie und ist dankbar für ihre fundierte Ausbildung. Auch das lernte sie bei den Ursulinen: helfen, wo man gebraucht wird und Disziplin bei dem, was man tut.
Karin Schulte besuchte die Klosterschule ab der 5. Klasse bis zum Abitur 1964. Und auch sie hatte schon vorher eine Verbindung zu den Ursulinen. Ihr Vater war Heilpraktiker, und einige Nonnen gehörten zu seinen Patientinnen. Als 1950 das 250-jährige Jubiläum des Klosters in Duderstadt gefeiert wurde, nahm der Vater seine kleine Tochter mit zum Fest. „Als ich den Klostergarten betrat, war ich überwältigt von dieser paradiesischen Atmosphäre und den Darbietungen der Schülerinnen. Das war für mich ein besonderes Erlebnis, und ich wollte auch auf diese Schule gehen“, erinnert sich Karin Schulte noch heute an ihren ersten prägenden Eindruck vom Kloster.
Bevor sie in die Ursulinenschule kam, musste Karin Schulte die Volksschule bis zur 4. Klasse durchlaufen. „Dort litten wir ab der 3. Klasse unter einer Lehrerin, die uns beschimpft und gedemütigt hat. Als ich zu den Ursulinen kam, war ich erstaunt, mit welcher mütterlichen Güte und Wertschätzung wir behandelt wurden. Alles war so sauber und einladend. Hier durften wir einfach Kinder sein und bekamen in unserer Erziehung auch einen Zugang zur Ästhetik und Harmonie“, beschreibt sie den Unterschied.
Das Kloster war für viele Schülerinnen ein Zuhause, welches es in dieser Weise bei den hart arbeitenden Eltern in der Nachkriegszeit oftmals so nicht gab. Die Nonnen sorgten für eine harmonische Umgebung. Blumen schmückten nicht nur den Garten und den (heute asphaltierten) Schulhof, sondern auch Flure und Klassenräume. Ihr Duft vermischte sich mit Gebackenem und frisch Gewaschenem – und die Arrangements in den Vasen luden ein zur Bestimmung der Pflanzen. Die Atmosphäre in der Schule wurde von den Ehemaligen als äußerst angenehm wahrgenommen.
Verabschiedung der sehr beliebten Klassenlehrerin Studienrätin Gudrun Lamla (Foto privat)
Sr. Ingeborg Wirz, Geschäftsführerin der Stiftung der Ursulinen und einstige Schulleiterin des St.-Ursula-Gymnasiums in Hannover, ergänzt, dass die Nonnen sich viel Zeit für die Schülerinnen nehmen konnten, da sie keine anderen familiären Verpflichtungen hatten. Auch die hauswirtschaftlichen Aufgaben wurden von weltlichen Mitarbeiterinnen erledigt, sodass sich die Schwestern ganz ihrer Hauptaufgabe, nämlich der Ausbildung junger Menschen, widmen konnten.
Christa Reiter hatte ihren ersten Kontakt zu den Ursulinen in Hildesheim. Dort kam sie 1945 als 13-jähriges Mädchen nach ihrer Flucht aus Schlesien an. Ab Oktober 1945 sollte sie die Marienschule der Ursulinen besuchen, jedoch war das Schulgebäude im Krieg zerbombt worden. So begann der Unterricht provisorisch im Keller der Heilig-Kreuz-Kirche. „Oft gingen wir mit Schürze und Hammer auf die Schutthalde und klopften den alten Mörtel von den Steinen. Die Schule sollte mit den noch brauchbaren Steinen wiederaufgebaut werden“, erinnert sie sich an die schwere Zeit kurz nach Kriegsende.
Die Arbeit lohnte sich. An der Eröffnungsfeier der Schule nahm auch Christa Reiter teil. Später wurde sie Lehrerin, heiratete einen Obereichsfelder und zog mit ihm nach Duderstadt. Von 1964 bis 1974 unterrichtete sie in der Klosterschule Hauswirtschaft und Textil. Als Lehrerin hatte sie auch darauf zu achten, dass die Schülerinnen sich an die Regeln hielten. Dazu gehörte unter anderem die züchtige Kleidung.
Ein kurzer Rock, ein tiefer Ausschnitt – oder gar Hosen – waren in der Mädchenschule nicht erlaubt. Jeden Morgen kontrollierte eine Schwester am Eingangstor, ob die Kleidervorschriften eingehalten wurden. „Wir kamen im Winter trotzdem in Hosen und zogen dann am Eingang schnell einen Rock über die Hose“, erklärt Maria Schwedhelm. Mit einem Knicks und dem „Gelobt sei Jesus Christus“ durften die Mädchen, die nicht im klösterlichen Internat lebten, dann durch das Tor zur Schule.
„Ganz genaue Anweisungen gab es für die Festtagskleidung der Internatsschülerinnen“, erinnert sich Sr. Sigrid Fortner und zückt einen mit Schreibmaschine getippten, schon etwas vergilbten Handzettel aus der Tasche. Dort steht akribisch beschrieben, wie breit der Kragen der weißen Bluse zu sein habe, dass der Rock aus dunkelblauem Wollstoff aus sechs Bahnen und keinesfalls zu eng zu nähen sei und dass die Blusenärmel genau 10 cm aus dem Bolero mit kurzem Schößchen herauszuschauen hätten.
„Natürlich haben wir in der Schulzeit manchmal geschimpft, aber später haben wir verstanden, was uns die Schule alles mitgegeben hat“, meint Renate Ewers.
Sr. Ingeborg Wirz erklärt, dass den Schülerinnen mit kleinen Aufgaben wie Blumengießen auch Verantwortung übertragen wurde, und damit sei Vertrauen und Verlässlichkeit verknüpft. Lehrerin Ida Bömeke verlieh sogar ihre privaten Bücher an die Mädchen, die sich über den Lesestoff freuten, der damals noch Mangelware war. Und auch bei den Schulfesten wurden alle beteiligt, spielten Theater, sangen Lieder und brachten etwas Mehl oder ein Stück Speck von zu Hause mit, um größere Mengen für die Gäste backen zu können.
Verabschiedung der sehr beliebten Klassenlehrerin Studienrätin Gudrun Lamla (Foto privat)
Im Rahmen der Schulreform Anfang der 1970-er Jahre wurde in Duderstadt das Schulzentrum Auf der Klappe gebaut (heutiger Träger ist der Landkreis Göttingen), wo Mädchen und Jungen gemeinsam unterrichtet werden sollten. Ab Schuljahr 1971/72 wurden daher keine neuen Schülerinnen mehr an der Klosterschule aufgenommen. Für die Übergangszeit wurden die Jahrgänge der staatlichen Realschule in den Räumen des einstigen Internats unterrichtet, wo Karin Schulte dann als Lehrerin und kommissarische Schulleiterin tätig war. „Es war berührend, der Duft im Internat war immer noch derselbe wie in meiner Schulzeit“, beschreibt sie die Vertrautheit mit dem Ort ihrer Kindheit.
Die besondere Beziehung der ehemaligen Schülerinnen zum Ursulinenkloster zeigt sich unter anderem darin, dass viele den Kontakt zueinander behalten haben und Mitglied im Förderverein sind. Nicht nur das Gefühl von Geborgenheit sei bei den Ursulinen vermittelt worden, sondern auch eine innere Haltung, die auf Rücksichtnahme, Respekt, Gemeinschaft, Achtung vor dem Nächsten, Gefühl für Ästhetik und Wertschätzung der Natur basiere. So manche Nonnen und auch weltlichen Lehrerinnen in der Klosterschule seien als strenge, aber gerechte und liebenswerte Vorbilder angesehen worden, die es verstanden hätten, bei den Mädchen Interesse an vielfältigen Themen – von Kunst, Musik und Literatur über Naturwissenschaften bis zu Fremdsprachen, Geografie und vieles mehr zu wecken, so die Übereinstimmung der einstigen Schülerinnen beim Rückblick auf die Schulzeit.
Heutzutage erscheinen manche der Klosterschulregeln altmodisch, der Knicks, die züchtige Kleidung, die Trennung der Geschlechter. Die inneren Werte, die vermittelt wurden, haben allerdings von ihrer Bedeutung für ein soziales und empathisches Miteinander nichts verloren.
Zum Grundprinzip der Ursulinen gehöre die Frage „Was brauchen die Menschen?“, erklärt Sr. Ingeborg Wirz. Mit wachem Blick und guter Bildung konnten die Ordensfrauen kreativ auf neue Entwicklungen reagieren. Zwar wurde die Ursulinenschule 1973 geschlossen, doch viele der Werte wurden weitergegeben, bleiben lebendig – oder werden sogar wiederentdeckt bei der Frage nach Ethik und Achtsamkeit in einer sich rasant verändernden Welt. Auch die 2015 gegründete Stiftung der Ursulinen hat sich mit ihren Angeboten von Workshops, Konzerten oder spirituellen Auszeiten der Förderung und Entfaltung aller Sinne verschrieben, die eine Grundlage für ein achtsames und selbstbestimmtes Leben bieten.
Historische Eindrücke der einstigen Klosterschule (Quelle: eichsfelder-postkarten.online):
ClanysEichsfeldBlog Duderstadt Ursulinen Liebfrauenkirche Klosterschule