Auf dem Pferdeberg bei Duderstadt werden vor allem im Winter zahlreiche Bäume gefällt. Dazu erreichten uns – nicht erst in diesem Jahr – einige Fragen und auch Fotos besorgter Leser und Anwohner, besonders aus den angrenzenden Dörfern Immingerode, Tiftlingerode und Gerblingerode, aber auch von auswärtigen Gästen. Befürchtet wird, dass zu viel vom Ökosystem Wald verschwindet. Wo sind also die Grenzen zwischen ökologischer Waldwirtschaft, ökonomischer Zielsetzung und Naherholungsort? Eine Gratwanderung.
Ganz sicher wird niemand von uns ohne Holz leben. Papier, Küchenutensilien, Möbel, Häuser, einfach unzählige Produkte werden aus Holz hergestellt. Außerdem genießen viele Menschen die wohlige Wärme am Kaminofen. Holz ist ein bedeutender Wirtschaftsfaktor und zurzeit sogar richtig teuer, da weniger Holz zur Verfügung steht als rund 8 Milliarden Menschen auf der Welt gebrauchen könnten. Keine Frage also, dass Wälder auch bewirtschaftet werden müssen, damit wir diesen nachwachsenden Rohstoff nutzen können.
Gleichermaßen hat die Klimakrise ein allgemein größer werdendes Problembewusstsein für Nachhaltigkeit und Naturschutz geschaffen. Menschen erhoffen sich einerseits, im Wald einen vielleicht noch halbwegs intakten Lebensraum zu finden und dort dem Alltagsstress zu entfliehen. Andererseits ist es allgemein bekannt, dass es dem Wald im Klimawandel nicht gut geht. Man muss nicht erst in den Harz fahren, wo ganze Berge waldfrei in der Sonne schmorren, auch beispielsweise am Lindenberg bei Duderstadt gehören die Nadelbäume zu den ersten Opfern von Trockenheit und Parasitenbefall.
Es treffen beim Thema Wald also ganz unterschiedliche Interessensvertreter aufeinander. Die einen verdienen Geld mit Holz, andere wollen ein naturnahes Freizeiterlebnis und wieder andere würden den Menschen am liebsten ganz aus dem Wald verbannen, damit sich die Biotope erholen können und Artenschutz gewährleistet wird – bevor es zu spät ist. Jede dieser Interessensgruppen würde wohl auch gern auf die beiden anderen Gruppen verzichten. Holzfäller fühlen sich von ambitionierten Bäumerettern gestört; die Kettensägen nerven Freizeitsportler, die dann wieder Biotope zertrampeln und Müll hinterlassen, was sowohl Naturschützer als auch Förster verärgert.
Warum ersetzen Aufforstungen nur bedingt alte Bäume?
Vor allem alter Wald wird als schützenswertes Biotop und wichtiger CO2-Speicher geschätzt. In einer Studie von 38 internationalen Forschungseinrichtungen, darunter das Deutsche Zentrum für Biodiversitätsforschung Halle-Leipzig-Jena, wurde schon 2014 festgestellt, dass z.B. große Bäume wesentlich mehr CO2 aus der Atmosphäre aufnehmen als junge Bäume. Ein Wäldchen mit lauter dünnen Stängeln braucht also Jahrzehnte oder Jahrhunderte, bis es einen deutlichen Beitrag zur CO2-Reduzierung leistet. Zudem beheimaten die alten Riesen Samen, Pollen, Insektenlarven, Käfer etc. die wiederum Nahrung für Vögel und kleine Säugetiere sind, und sie bieten eine große Menge an Nistmöglichkeiten. Diese Habitatbäume leisten also einen außerordentlichen Beitrag zur Nahrungskette, zum Klima- und Artenschutz.
Auch die Niedersächsischen Landesforsten erklären in ihrem LÖWE-Programm: „Gerade die Alters- und Zerfallphase ist aus ökologischer Sicht besonders wertvoll, hier haben die Baumveteranen eine Vielzahl von kleinen und großen Bewohnern. Mit dem beginnenden Zerfall siedeln sich unzählige auf Totholz spezialisierte Arten an.“ Allerdings gelten die Grundsätze des LÖWE-Programms nur für den Landeswald.
„Für PrivatwaldbesitzerInnen sind nur die einschlägigen Bundes- und Landesgesetze sowie die Schutzgebietsverordnungen der Landkreise und kreisfreien Städte verbindlich. Das Gebiet um den Pferdeberg liegt zum größten Teil im Landschaftsschutzgebiet Untereichsfeld„, erklärt Axel Pampe, Leiter des Niedersächsischen Forstamtes Reinhausen, das die Realgemeinde als Waldeigentümer am Pferdeberg forstfachlich berät und betreut.
Was bereitet den Bürgern Sorgen?
Im LSG Untereichsfeld werden z.B. die Habitate von Rotmilan, Wanderfalke und Mittelspecht unter besonderen Schutz gestellt. Dazu heißt es in der Verordnung: „Zu Gunsten dieser Vogelarten soll die wellige, strukturreiche, halboffene Kulturlandschaft mit altholzreichen, insbesondere alteichenreichen Laubwäldern, Felsbiotopen und Feldgehölzen als Lebensraum erhalten werden, sollen störungsfreie Nisthabitate und störungsfreie Nahrungsräume im Offenland bewahrt und eine extensive Landwirtschaft (insbesondere in Gebieten mit Hackfrucht- und Getreideanbau) als Nahrungsgrundlage (Kleinsäugervorkommen) gefördert werden.“ Beim Anblick der zahlreichen abgeholzten Eichenstämme am Wegesrand befürchten einige Bürger, dass zu viele alte Bäume aus dem Wald entfernt und Lebensräume zerstört wurden.
Außerdem wird in der Verordnung über das Landschaftsschutzgebiet Untereichsfeld u.a. die „Erhaltung und Entwicklung von Hecken und Gebüschen heimischer Arten und außerhalb des Waldes stehender Bäume sowie von naturnahen Laubwäldern und Waldrändern“ (§2, Absatz 2, Punkt 4) unter besonderen Schutz gestellt. Auch hier scheinen die Anfragen von Bürgern z.B. nach dem Verbleib der Brombeerhecke in der Nähe des „Talblicks“ verständlich. Die ist komplett verschunden.
Wie passen Waldwirtschaft und Waldschutz zusammen?
Im rechtlich geltenden Rahmen kann jeder Waldbesitzer selbst entscheiden, was er abholzen möchte. Der Wald am Pferdeberg gehört überwiegend der Realgemeinde, teilweise auch privaten Einzelpersonen. Die Realgemeindewälder werden vom Niedersächsischen Forstamt Reinhausen forstfachlich beraten und betreut. Forstamtsleiter Axel Pampe erklärt: „Die Holzernte im Rahmen der ordnungsgemäßen, d.h. u.a. auf einer Fachplanung basierenden Forstwirtschaft, bedarf im Regelfall keiner weiteren Genehmigungen. Kahlschläge im Privatwald über 1 ha Größe müssen allerdings vorab der Waldbehörde (Landkreis) angezeigt werden, sofern es sich nicht um Schadflächen, z.B. durch Borkenkäferbefall, Windwurf o.ä. handelt.“
Wie die Balance zwischen ökologischer und ökonomischer Zielsetzung gewährleistet wird, erklärt Axel Pampe ebenfalls: „Die Balance zwischen Ökologie und Ökonomie wird durch die verbindliche 10-jährige Forstplanung gewährleistet. Diese legt fest, wo wieviel Holz geerntet werden kann, ohne den Nachhaltigkeitsgrundsatz oder einschlägige rechtliche Vorgabe zu verletzen. Ungeachtet dessen freuen sich die WaldbesitzerInnen natürlich über die zurzeit guten Holzpreise. Mit den Erlösen müssen nicht zuletzt umfangreiche Wiederbewaldungs- und Pflegearbeiten finanziert werden. Das am Pferdeberg eingeschlagene Holz wurde vornehmlich als Stammholz an ein in der Region ansässiges Laubholzsägewerk verkauft.“
Nicht nur zum Wald selbst, sondern auch zum ökologischen Nutzen der Waldränder haben die Niedersächsischen Landesforsten einen Grundsatz formuliert: „Mit ihrem besonderen Mikroklima bieten die Waldränder vielen Pflanzen- und Tierarten eine wichtigen Lebensraum.“ Am Pferdeberg sind die Waldränder allerdings oft gemäht und/oder gemulcht, meistens von Landwirten, die entweder die Zufahrten zu ihren Feldern freihalten oder im Naherholungsgebiet Ausweichmöglichkeiten für Fußgänger schaffen.
Dazu erklärt Axel Pampe: „Es gelten die Bestimmungen der Landschaftsschutzgebietsverord
Ebenso gibt es im LÖWE-Programm Richtlinien zum Schutz der Waldböden. Allerdings betont Axel Pampe, dass alle LÖWE-Richtlinien für Privatwaldbesitzer nicht verbindlich sind. Doch die Landesforsten bieten im Rahmen ihrer Beratungsdienstleistung für die Waldbesitzer Informationen und entsprechende Fortbildungen an. „Der Ausbildungsstand privater WaldbesitzerInnen ist aber landesweit nicht einheitlich und natürlich last but not least auch von der individuellen Motivation und „Waldgesinnung“ abhängig. Für die Brennholzaufarbeitung reicht ein „Sägeschein“ aus. Fällungen älterer stehender Bäume werden nur durch zertifizierte Fachunternehmen durchgeführt, die regelmäßig auditiert werden“, erklärt Axel Pampe.
Ein Schild an einer Eiche am Rundweg weist auf das PEFC-Zertifikat hin. Für dieses Zertifikat müssen festgelegte Standards (HIER nachzulesen) der nachhaltigen Waldwirtschaft erfüllt werden, um die Waldökosysteme langfristig zu erhalten und zu schützen. Die Vorschriften beziehen sich auf Umweltbelange, Qualifizierungen des Waldpersonals und auch auf sozioökologische Funktionen der Wälder. Da heißt es u.a.: „Bei der Waldbewirtschaftung werden die Erholungsfunktion und der ästhetische Wert des Waldes berücksichtigt.“ Außerdem wird im PEFC-Leitfaden auf einen ausreichenden Anteil an Biotop-, Horst- und Höhlenbäumen hingewiesen, die in einem Alter von mehr als 70 Jahren besonderen Schutz genießen (bis zu 10 Biotopbäume pro Hektar).
Zusammenfassend sagt der Forstamtsleiter zur heutigen Waldwirtschaft: „Man muss sich bewusst sein, dass jede Holzerntemaßnahme natürlich einen Eingriff, vielleicht sogar eine Wunde darstellt. Diese Wunde sieht dann in naturnah bewirtschafteten alten Wäldern mit hoher Biodiversität in der Regel schlimmer aus als in einer naturfernen Plantage. Nach fachgerecht durchgeführten Hauungen relativiert sich dieser Eindruck aber meist schon nach kurzer Zeit. In entstandenen Lücken wächst neue Waldverjüngung und die veränderten Lichtverhältnisse schaffen neue Lebensräume. Die Wunden verheilen.
Grundsätzlich darf man nicht vergessen, dass der klimafreundliche Rohstoff Holz nur auf zwei Wegen zu beschaffen ist (wenn man von der Urwaldrodung mal absieht): Durch Plantagenwirtschaft oder durch nachhaltige Waldwirtschaft. Letzteres ist unser Weg. Dabei müssen auch alte Bäume gefällt werden. Im LÖWE-Wald dürfen Bäume alt werden, einige davon sogar bis zum natürlichen Zerfall. Die anderen aber werden nach 100, 150 oder 200 Jahren einer sinnvollen, hochwertigen Verwendung zugeführt. Gleichzeitig wird der Wald neu verjüngt. So funktioniert die Nachhaltigkeit.“
Der Wald als Erholungsort?
Auch die Tourismusbranche setzt seit Jahren auf den sogenannten „sanften Tourismus“: Abschalten, Wandern, Radfahren in naturnaher Umgebung liegt voll im Trend – nicht erst seit Corona. Klar, es sollte für uns alle selbstverständlich sein, dass wir bei der Freizeitgestaltung in Biotopen auf den Wegen bleiben, keine Mountainbikerennstrecken anlegen, nicht mit den Quads auf Wanderwegen umherheizen, kein Lagerfeuer anzünden und unseren Müll mit nach Hause nehmen.
Das Grundgesetz in Artikel 4, Absatz 2 besagt: „Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.“ Es darf also jeder in den Wald gehen (Ausnahmen gibt es bei Gefährdungen durch Jagd, Waldarbeiten etc.).
Dazu sagt Axel Pampe: „Natürlich achten wir in Erholungsschwerpunkten im Landeswald, aber auch in den von uns betreuten Realgemeinden und Forstgenossenschaften, darauf, dass die Erholungsfunktion durch Holzerntemaßnahmen möglichst wenig beeinträchtigt wird und dass Schäden an Wegen etc. umgehend behoben werden. In Gebieten, die besonders für die Naherholung genutzt werden, wie am Pferdeberg, müssen die WaldbesitzerInnen aber ein besonderes Augenmerk auf die Verkehrssicherheit entlang der Wanderwege richten. Die Trockenjahre seit 2018 haben vermehrt zur Bildung von Totästen, insbesondere in alten Buchen- und Eichenwäldern geführt.“
Die Arbeitsgemeinschaft Pferdeberg, zu der Mitglieder aus den umliegenden Pferdeberggemeinden gehören, und die sich für eine freizeitliche und touristische Nutzung des Pferdebergs einsetzt, steht im Austausch mit dem Fachdienst Tourismus der Duderstädter Stadtverwaltung. Die Stadt Duderstadt unterstützte z.B. die Entwicklung des Trimm-Pfades und die Erstellung von Info-Tafeln. Außerdem sei für Gäste, Wanderer und Radfahrer der Pferdeberg mit Ausflugslokal, Ferienstätte und Grenzlandweg bedeutend, heißt es vonseiten der Stadtverwaltung. „Unsere Gäste haben durchaus ein Bewusstsein für Naturschutz und achten erfahrungsgemäß besonders während ihres Urlaubs auf Umwelt und Nachhaltigkeit. Hierbei kommt es jedoch auf die jeweilige Zielgruppe, Altersstruktur und den Zweck des Aufenthaltes an“, erklärt Désire Christine Kinkartz, Fachdienst Öffentlichkeitsarbeit der Stadt Duderstadt. Auch die Coronazeit habe die Nachfrage nach naturnahem Urlaub stark vorangetrieben. Das bedeute für den Fachbereich Tourismus der Stadt Duderstadt, den Fokus auf mehr aktive Angebote wie Wandern und Radfahren zu legen und gleichzeitig Naturgebiete nachhaltig zu unterstützen.
Das Statement der Tourismusfachleute in Duderstadt zeigt, dass der Umgang mit Naturschutz und Nachhaltigkeit das Image einer Region prägen können.
Wie also umgehen mit dem Wald und mit den Ressourcen?
Auch die Aspekte der dritten Gruppe, der Kritiker an der heute in Deutschland und der EU gängigen Forstwirtschaft, möchten wir hier kurz mit beleuchten. Die Sorgen der Leser, Gäste und Anwohner um den Wald am Pferdeberg zeigen zumindest, dass ein Bewusstsein für Klima-, Umwelt- und Artenschutz zunimmt. Die Bundeszentrale für politische Bildung sieht das durchschnittliche Problembewusstsein für den Klimawandel bei der Bevölkerung in Deutschland auf einer Skala von 1 bis 10 bei 8,4 (Datenreport 2021). Und wer sich sorgt, ist meistens auch schon bereit, etwas am eigenen Verhalten zu ändern.
Gründe zur Sorge gibt es allemal: Die Leopoldina – Nationale Akademie der Wissenschaften in Halle (Saale) hat 2020 ihre Forschungsergebnisse zur Biodiversität im Diskussionspapier “ Globale Biodiversität in der Krise – Was können Deutschland und die EU dagegen tun?“ zusammengetragen. Da heißt es: „60 Prozent der EU-relevanten Arten und 70 Prozent der Lebensräume sind in Deutschland in einem schlechten bis unzureichendem Zustand.“ Die Publikation enthält aber auch einen Zehn-Punkte-Plan zum Schutz der Biodiversität. Da wird u.a. empfohlen, bis 2030 rund 50 Prozent der Wälder weltweit unter Schutz zu stellen oder nachhaltig zu bewirtschaften. Doch was bedeutet nachhaltig heute? Reicht Aufforsten nach dem Abholzen?
Dass Nachhaltigkeit kein geschützter Begriff sei, betonte auch schon Deutschlands wohl prominentester Förster Peter Wohlleben, der mit Podcasts, Büchern und seiner Waldakademie Menschen dazu verhilft, im Wald nicht nur den Wirtschaftsfaktor und den Erholungsort zu erkennen, sondern auch den lebendigen Organismus. Mit seinem Kinofilm „Das geheime Leben der Bäume“ erreichte er ein Millionenpublikum.
Peter Wohlleben stellt gängige Forstpraxis in Frage, beobachtet das Ökosystem Wald und entwickelt Ideen weiter. Im Podcast mit der ehemaligen Bundesumweltministerin Svenja Schulze plädiert er dafür, den Wald – soweit möglich – einfach in Ruhe zu lassen. Damit auch Waldbesitzer etwas davon haben, schlägt der Forstwirt eine CO2-Steuer vor für alle, die Holz z.B. zum Verbrennen nutzen. Aus der CO2-Steuer könnten Waldbesitzer, die das Klima fördern, indem sie alte Bäume als CO2-Speicher stehenlassen, Prämien erhalten.
Fakt ist: Klima- und Artenschutz bleibt eine der herausfordernsten Aufgaben für die Zukunft unserer Kinder. Jeder Mensch muss für sich selbst entscheiden, wie er mit seiner Umwelt umgeht. Für niemanden ist es möglich, vollkommen klimaneutral zu leben. Aber wir alle können uns die Frage stellen: Was brauche ich wirklich? Wieviel Rohstoffe, Kleidung, Nahrung, Geld? Wo kann ich persönlich Beiträge zur Schonung der Ressourcen leisten? Und was kann ich nicht mehr verantworten – als Verbraucher, Waldbesitzer, Forst- oder Landwirt, Unternehmer, Politiker?
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