Das gotische Haus in der Duderstädter Marktstraße 26 (erbaut ca. 1550) mausert sich zunehmend zum Ort für kleine, aber feine Kultur-Veranstaltungen. Der Konzertabend mit Leonardo Kirscht und Franziska Rhode am Piano wurde untermalt von einer Kunstausstellung des Duderstädter Kunstvereins Kontura. Außerdem bemerkenswert ist, dass die Gotikhaus-Besitzer Annegret und Rainer Maring mit ihrem Konzept in der Innenstadt hochaktuelle Maßstäbe setzen.
Sehr bescheiden traten die beiden jungen Musiker auf. Sie seien ja keine Profis, betonten sie und schraubten die Erwartungen der Gäste herunter – die dann aber bei weitem übertroffen wurden.
Die Einleitung im vollbesetzen Haus gab die 17-jährige Franziska Rhode (Jg. 12 am EGD), die sich als Autodidaktin vorstellte. Klavierunterricht habe sie nie gehabt, sondern sich ihre Fertigkeiten am Piano selbst beigebracht. Jeder Mensch, der jemals versuchte, einem Instrument Musik zu entlocken, wird bestätigen können, dass großer Ehrgeiz, ein sehr feines Gehör, Fingerfertigkeit und eine grundsätzliche Begabung vonnöten sind, um halbwegs anhörbare Tonfolgen zustande zu bekommen. Einen großen Respekt verdient Franziska Rhode, die mit der Filmmusik „My heart will go on“ aus „Titanic“ und „Nuvole Bianche“ von Ludovico Einaudi die sehr bemerkenswerte musikalische Einstimmung gab.
Leonardo Kirscht (Jg. 13 am EGD) hatte sich mit Stücken von u.a. Rachmaninoff, Debussy, Chopin und Beethoven nicht gerade eine einfache Playlist ausgesucht. Allerdings schien der 18-Jährige auch genau zu wissen, was er sich zutrauen konnte. Virtuos und durchaus mit eigenen Akzenten meisterte er diese anspruchsvolle Fahrt durch den Komponisten-Kosmos. Der große Applaus des Publikums war mehr als verdient. Leonardo Kirscht spielt seit seinem 6. Lebensjahr Klavier. Seine jetzige Lehrerin Gitta Ammer saß ebenfalls im Publikum.
Wer das Konzert verpasst hat, kann es nachhören. Das Stadtradio Göttingen hat die Veranstaltung aufgenommen und überträgt sie am Freitag, 17. September 2021 um 18.05 Uhr und am Sonntag, 19. September, um 10.45 Uhr.
Gut abgestimmt auf die Musik wirkte die Kunstausstellung des Duderstädter Kunstvereins Kontura. Hier stand Beethoven im Mittelpunkt. Vereinsmitglieder im Alter von 7 bis 67 Jahren haben den Komponisten porträtiert, es entstanden Werke, die zur Beethovens 9. Sinfonie gemalt wurden, und ein „Beethovenfries“ als Gemeinschaftswerk ist angelehnt an das 1902 entstandene Wiener Fries von Gustav Klimt. Die Kontura-Vorsitzende Christiane Mosler erklärte, dass die Werke einen Teil der geplanten Ausstellung unter dem Titel „Farb-Töne – eine Hommage an Beethoven“ zeigten, die eigentlich im Duderstädter Rathaus zu sehen sein sollte, aber wegen der Pandemie verschoben wurde. Hier besteht also Hoffnung, nochmal das Ganze in groß zu sehen.
Das Konzert in Kombination mit der Kunstausstellung wurde gemeinsam organisiert von den Teams der Buchhandlung Gebr. Seseke, der Praxis Dr. Kirscht und dem Kunstverein Kontura.
Im hinteren Zugang des Gebäudes hat Rainer Maring in einer kleinen Fotoausstellung die aufwändigen Sanierungsarbeiten des gotischen Hauses festgehalten. Mit dem Umbau und der Umnutzung einer Ladenfläche zu einem Ort für Kulturveranstaltungen liegen Annegret und Rainer Maring voll im Trend. Auch Duderstadt ist längst im Strukturwandel angekommen. Digitalisierung, Online-Shopping, und schließlich auch die Pandemie, machen es den Kernstädten mit homogenen Einkaufmeilen zunehmend schwerer, für das Publikum noch attraktiv zu bleiben. Die Folge sind vielerorts Leerstände und das Aussterben der Innenstädte. Neue Konzepte – die Otto Group in Hamburg sprach in einem Artikel in der „Welt“ schon von „Erlebnisräumen“ – mit einer Vielfalt von Gastronomie, Kunst, Kultur und Freizeitangeboten sollen den Strukturwandel vorantreiben und die Kernstädte wieder attraktiver machen. Und davon hätten schließlich auch die Einzelhändler, die den Strukturwandel überleben, noch Vorteile.
In Duderstadt setzen also schon einige Hausbesitzer wie Familie Maring auf diese innovativen Konzepte, und wenn die Qualität stimmt, kommt auch das Publikum. Das Angebot im Gotikhaus wurde bisher – nicht nur bei dem Konzert – sehr gut angenommen, bestätigt Rainer Maring ebenfalls sehr gute Besucherzahlen bei anderen Veranstaltungen. Fünf Mal bot das gotische Haus bereits die Kulisse für Kulturangebote, u. a. für die Foto-Ausstellung „The Sense of Business Woman“, Autorenlesungen und mehr.
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