Hans Jürgen von der Wense (1894 – 1966) war Universalgelehrter, Autodikakt, Wanderer, Fotograf, Komponist und vieles andere ebenfalls. Er veröffentlichte nie ein Buch, hatte aber nach seinem Tod rund 15.000 beidseitig beschriebene Blätter hinterlassen, derer sich der Germanist Reiner Niehoff annahm und dann das Buch „Routen I – Südniedersachsen“ herausbrachte. Das wurde im Göttinger Literaturherbst 2024 an verschiedenen Orten vorgestellt, die bei Wense eine Rolle spielten, also auch in Duderstadt.
Veranstaltungsort war die Kulturstube, und einige Zuhörerinnen und Zuhörer hoben sogar den Arm bei der Frage des Journalisten Michael Schäfer, ob sie zuvor schon mal etwas von Hans Jürgen von der Wense gehört hätten – die meisten jedoch nicht. Was auch kein Wunder sei, erfuhr man von Schäfer, der durch das Programm führte. Denn Wense hielt sich gern zurück, hatte eben selbst nichts veröffentlicht, und auch auf seinen Wanderungen war er meistens allein unterwegs. Von einem Göttinger Germanisten sei sogar die Existenz Wenses angezweifelt worden, erzählte Schäfer. Erst mit den „Routen I“ von Reiner Niehoff sollte sich diese Unsichtbarkeit nun ändern.
Wense vereinte Gegensätze. Zwischen Südniedersachsen, Nordhessen und Ostwestfalen legte er in 30 Jahren rund 27.000 Kilometer zurück. Darüber schrieb er wissenschaftlich, pathetisch, philosophisch, akribisch, übertrieben, zurückhaltend, routiniert, beobachtend, emotional – eben sehr außergewöhnlich. Die Textpassagen, bei denen gen Ende dann auch einige Details aus Duderstadt vorkamen, las Götz Lautenbach, Schauspieler am Jungen Theater Göttingen. Die „Fußnoten“ zu diesen Texten sowie ausgiebige Hintergrundinformationen zum Menschen Hans Jürgen von der Wense, oder auch zum Lesen topografischer Karten, ergänzte Michael Schäfer.
Wense wanderte 1959 durch Duderstadt, und bei seinem Besuch nahm er vieles wahr: „Durch die zu nahe Ostzone“ sei Duderstadt in der Entfaltung gehemmt, aber doch nicht starr, meinte der Autor. Er setzte Häuserinschriften in sorgfältig recherchierten historischen Bezug, trug dann aber auch wieder dick auf, wenn er zum Beispiel die Wiesen und Felder in der Goldenen Mark als „völlig exzentrische Landschaft zwischen Höherberg und Euzenberg“ beschrieb oder die Hügel des Ohmgebirges als „unnahbare Felsenschluchten“. Was also sah er und wie sah er etwas, dieser offensichtliche Expressionist der Wortmalerei?
Als Gast auf der Bühne empfahl die Erste Kreisrätin Doreen Fragel, das Buch als Ansatz zu nehmen, sich einer Region auch philosophisch zu nähern, und Wense gebe Anregungen für reizvolle Touren in Südniedersachsen. Michael Schäfer schlug „Wanderungen mit Wensetexten“ vor, wodurch manche vertrauten Orte neu betrachtet werden könnten. Reiner Niehoff plane außerdem schon Nachfolgewerke zu den Regionen Nordhessen und Ostwestfalen.
Für tiefere Einblicke hielten Annegret und Rainer Maring als Betreiber der Kulturstube und Inhaber der Buchhandlung Gebr. Seseke einen Büchertisch bereit, wo „Routen I – Südniedersachsen“ erworben werden konnte.
Göttinger Literaturherbst 2024:
Zwei weitere Veranstaltungen bietet der Göttinger Literaturherbst noch an: Am Donnerstag, 7. November werden um 19 Uhr am Sartorius Campus zwei Preise verliehen, nämlich der NDR Sachbuchpreis und der LifeScienceXplained / Sartorius Preis. Die Veranstaltung kann online und im Radio mitverfolgt werden.
Am Samstag, 9. November, finden die Deutschen Science Slam Meisterschaften 2024 um 20.15 Uhr in der Stadthalle Göttingen statt. Die Saaltickets sind bereits ausverkauft, aber mit dem On-Air-Ticket ist die Veranstaltung online mitzuerleben.
Infos bei literaturherbst.com
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